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Karnak

Gänseabstieg

Bild: Ansicht Karnaks vom Kran beim IX. Pylon aus
(C) CFEETK - Centre franco-égyptien d'étude des temples de Karnak

Das Areal südlich des Heiligen Sees in Karnak (im Bild oben, die rechte untere Ecke) erscheint wenig spektakulär. Ein Erd- und Staubhügel mit vereinzelten Steinen - meist ohne erkennbare Struktur.
Hier befand sich der Verwaltungs- und Magazinbereich des Tempels mit Priesterwohnungen, Ställen, Speichern etc.

Bild oben: monja

Geht man auf der Nordseite des Sees entlang, so fällt einem vielleicht ein Loch in der Südwand des Sees auf.

Hierbei handelt es sich um den augenfälligen Rest des Geflügelhofes des Amun im Tempel von Karnak.

Bild: Sanji

Bild: Detail aus oberem - bearbeitet

Die nebenstehende Zeichnung aus Ricke (S. 129 Abb. 3) zeigt uns den gesamten Geflügelhof mit Verbindung zum Heiligen See.

Der Bau datiert allgemeinhin unter Psamuthis (siehe weiter unten), doch gibt es auch Überlegungen ob nicht Nepherites I. und Achoris bereits mit dem Bau begannen und Psamuthis ihn lediglich dekorierte.
Der Bau misst von Nord nach Süd 45,45 m und von Ost nach West 55,50 m. Hinter einem 16,70 m tiefen Vorhof befinden sich über drei Gänge zugänglich verschiedene Kammern. Am Ende der Gänge finden sich je ein kleiner abgetrennter Bereich (eventuell eine hölzerne Schranke auf einem gefundenen Werksteinsockel) mit einem Naos aus Sandstein. Die erhaltenen Reliefs bezeugen einen Kult für Amun, in beiden Erscheinungsformen, sowie für Mut und Chons.

LD III Tf. 259a

Vor den Speicherräumen findet sich ein Vorhof mit 2x4 vielkantigen Säulen rechts und links vom Zugang zum mittleren Gang. Sie trugen einst ein Vordach. Die Säulen tragen Erneuerungsinschriften des Psamuthis, in denen er (nach Ricke S. 130) angibt: [das, was] verfallen, neu machen [für die] Ewigkeit. Weitere Tür- und Reliefblöcke nennen seine Namen.
Die Erneuerungsinschrift setzt einen älteren Bau an dieser Stelle voraus. Mariette (S. 11) erwähnt einen Stein mit Namen Ramses II, den er im "Geflügelhof" gesehen hat und der sich danach im Museum Kairo befand. Im Vorhof fand sich eine Kapitellplatte mit Namen Psametich. Die Wiederverwendung von Bauteilen war normal. Nicht alle müssen aus einem direkten Vorgängerbau stammen, bei manchen deutet sich dies aber an. So bei einer Stele Sethos II.

Der Fundort der Stele, im Nordwesten vor dem Gebäude ist im obigen Plan eingezeichnet. Ein älterer Stein wurde als Stele wiederverwendet. Der Platz reichte für den Text nicht aus, so wurde unten etwas drangeflickt.

Zeichnungen: Ricke Abb. 1 und 2

Ich bringe die Übersetzung des Hauptfeldes nach Ricke (S. 126) - zuerst die lange Titulatur:

(1) (Horus): der starke Stier, geliebt von Re, (Nb.tj:) der Ägypten beschützt, der die Fremdländer niederzwingt, (Horus, Bezwinger des Nb.tj:) groß an Siegen in allen Ländern
(2) der König von Ober- und Unterägypten, der Herr beider Länder,
Wcr-xpr.w-Ra-mrj-Imn, der Sohn des Re, der Herr der Kronen. CtX-mrj-n-PtH, von Amon, dem König der Götter, geliebt und mit Leben beschenkt.
(3) Es lebt der schöne Gott, der Sohn des Amon, der göttliche Same des Herrn der Götter, das reine Ei, hervorgegangen aus Re,
(4) der Beschützer der Herrn von Karnak, der König von Ober- und Unterägypten,
Wcr-xpr.w-Ra-mrj-Imn, der Sohn des Re, CtX-mrj-n-PtH, mit Leben beschenkt,
(5) der König beliebt wie Amon, lang an Lebenszeit wie Re, groß an Königtum des Mont, der Sohn des Mont
(6) der kühne Greif, der junge, rasende Stier, spitz an Hörnern, der weit ausschreitet wie

(7) Seth, Sohn der Nut, der König von Ober- und Unterägypten, der Herr beider Länder
Wcr-xpr.w-Ra-mrj-Imn, der Sohn des Re, der Herr der Kronen CtX-mrj-n-PtH, von Amon, dem König der Götter geliebt.
Dann folgt der Teil, der besagt was Sethos II. tat:

(8) Er hat (dies) gemacht als ein Denkmal für seinen Vater Amon-Re, den König der Götter, indem er ihm den Geflügelstall neu machte, gefüllt mit Gänsen
(9) Kranichen,
+n-Dn = Vögeln, Sumpfgeflügel, Wasservögel, Tauben, Turteltauben,
(10)
CaSA-Vögel, um mit Speise zu versehen die Gottesopfer für seinen Vater Amon.. Es machte ihm (das) sein Sohn, der Herr beider Länder, Wcr-xpr.w-Ra-mrj-Imn, mit Leben beschenkt. 
 
Dies nennt uns einen Zweck des Gebäudes: Einen Geflügelstall * hat Sethos II. hier neu errichten lassen. Womit wir wieder zu unserem Ausgangspunkt zurück kämen - dem Loch in der Uferbefestigung des Heiligen Sees.

Zu diesem Loch gehört der weiter oben im Foto markierte Abstieg.
Ein schräger, vom See her ansteigender Gang dessen Seitenwände aus Sandstein bestehen und der mit Blöcken desselben Materials abgedeckt ist.

Links, der obere Einstieg - rechts der gedeckte Gang von Unten gesehen.
Bilder: Iufaa

Der Gang misst innen an seiner höchsten Stelle 85 cm und ist 55 cm breit. Damit ist er eindeutig nicht dazu geschaffen dass Menschen ihn stehend nutzen können, als Abflussrinne ist er allerdings erstens recht hoch bemessen, zweitens würde Schmutzwasser oder Opferblut und Exkremente den Heiligen See beschmutzen - entweihen. Keine geignete Nutzung des Ganges.
In Verbindung zu den auf der Sethos-Stele aufgezählten Bewohnern des Gebäudes, zahlreiche Geflügel, bietet sich eine andere Nutzung an. Ich darf hierzu Wilkinson (S. 72/73) zitieren: Der heilige See von Karnak wies außerdem ein besonderes Baumerkmal auf: Es erlaubte den Gänsen, die in zugehörigen Pferchen untergebracht waren, durch einen engen Tunnel an der Wasseroberfläche zu erscheinen - dies sollte die Rolle der Gans als Manifestation Amuns bei der ursprünglichen Schöpfung symbolisieren. Der erwähnte Tunnel liegt uns hier im absteigenden Gang vor.
Die früheste Erwähnung eines Geflügelhofes für Karnak findet sich im westlichen Annalensaal Thutmosis III. an der Südhälfte der Westwand (LD III, 30b Zeile 11 - nebenstehende Zeichnung aus Urk. IV. 745). Dort beschreibt Thutmosis III.:

... Es ließ meine Majestät für ihn entstehen eine Herde von Gänsen, um den Geflügelhof für die täglichen Gottesopfer zu füllen. Meine Majestät setzte für ihn fest zwei Mastgänse als Tagesbedarf als ewige Abgabe für meinen Vater Amun ...

(Übersetzung: Geßler-Löhr, S. 162)

Nach Geßler-Löhr (S. 162) bedeutet der Ausdruck für Geflügelhof hAt-r-mw wörtlich "Hinabsteigen-ins-Wasser" **. Dies trifft vorzüglich auf unsere bauliche Anlage zu. Texte des Ach-Menu berichten von Vogelteichen zur Versorgung des Sanktuares. Die Entstehung des heiligen Sees wird unter Thutmosis III. datiert - eventuell dürfen wir den frühesten Vorgängerbau unseres hier beschriebenen Geflügelhofes ebenfalls in diese Zeit datieren. Vielleicht kontinuierlich genutzt und erneuert über Ramses II. und Sethos II. bis in späteste Zeiten hinein. Hierfür spricht auch eine Änderung im Neigungswinkel des Ganges. Im unteren Bereich hat er einen Neigungswinkel von 10°, weiter oben beträgt die Neigung 25°. Der Bau des Psamuthis liegt hoch über dem See. Hier wurde eventuell auf die alten Ruinen draufgebaut und eine Änderung des Neigungswinkel notwendig.
Der heutige Ausgang im See liegt zum Wasserspiegel gesehen relativ hoch. Doch handelt es sich hier um eine Rekonstruktion. Zu Zeiten von Ricke war der Ausgang nicht zu ermitteln. Baufugen an der Uferbefestigung des Sees zeigen seine Erweiterungen. Eventuell ging der Gänseabstieg zu Zeiten des Neuen Reiches weiter gen Norden und, bedingt durch einen längeren Abgang, auch näher an die Wasseroberfläche heran. Etwas, dass das von Wilkinson beschriebene Auftauchen der Gänse des Amuns umso spektakulärer gemacht haben dürfte.
Mit Psamuthis war die Tradition des Geflügelhofes nicht zu Ende. Hier wurde noch von seinen Nachfolgern gebaut. So haben diese im Osten des Vorhofes eine dünne Mauer eingezogen und einen Schlachthof abgetrennt. Ricke sieht in einem großen Sockel mit niederem Rand eine Schlachtbank für Großvieh. Dieses war wohl nicht in diesem Gebäude sondern irgendwo im unmittelbaren Bereich untergebracht.
 
Nach Behrens (Sp. 506) werden im Neuen Reich die Begriffe  mHwn und hAmw undifferiert für einen Geflügelhof gebraucht. Die Bedeutung der Geflügelhöfe für die Tempelwirtschaft wird besonders im NR durch königliche Urkunden hervorgehoben - wie auch unsere Textstellen zeigen.
Wenn auch der Geflügelhof besonderers wichtig ist und immer wieder erwähnt wird, so befindet er sich wohl zwar in dem Gebäude des Psamuthis - doch handelt es sich dabei nicht ausschließlich um einen Stall für Geflügel, wie auch der von Ricke vermutete Schlachtplatz für Großvieh nahelegt.
Qedeschet wies mich auf einen Artikel von Claude Traunecker hin. Traunecker hat sich dort ausführlich mit dem Gebäude des Psamuthis auseinandergesetzt und aufgrund der baulichen Struktur vergleichbare Bauten in anderen Tempelanlagen identifizieren können. Der epigraphische Befund macht deutlich, dass es sich bei dem oben beschriebenen Gebäude um ein Sna wab handelt - ein bisher nicht endgültig definierter Begriff. Arnold (Tempel) bezeichnet das Gebäude im Karnakplan als Opfertempel - vielleicht eine gute Umschreibung.
 
Ich möchte darauf hinweisen, dass das Gebäude heute im Gelände kaum auszumachen ist und von seiner Raumaufteilung und Dekoration nichts zu sehen ist. Der, ins Auge stechende, Rest dieser Anlage besteht aus dem gedeckten Gang und dem modern rekonstruierten Loch in der Uferbefestigung des Heiligen Sees.
 
* Die Stele verwendet den Ausdruck mHwn, nach WB II 128,2 eine neuägyptische Bezeichnung für Geflügelhof.
** Geßler-Löhr gibt als Quelle der Übersetzung "Geflügelhof" WB II 501,8 an. Dort wird der Begriff tatsächlich für unsere Schreibung erwähnt. Datiert in die 18. Dynastie, doch leider mit lediglich einem Beleg (WB Belegstellenband II, S. 763) Urk. IV, 745 - die nebenstehende Seite mit dem Text der Annalenwand.
 
Literatur:
Dieter Arnold: Die Tempel Ägyptens. Götterwohnungen, Baudenkmäler, Kultstätten, Augsburg 1995
Peter Behrens: Geflügelhof, in: LÄ II, Sp. 505-507
Beatrix Geßler-Löhr: Die heiligen Seen ägyptischer Tempel; Hildesheim 1983
Richard Lepsius: Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien III. Abtheilung (Bd- 5.-8.);  Leipzig, 1892
Auguste Mariette-Bey: Karnak Ètude Topographique et Archéologiques, Leipzig 1875
Herbert Ricke: Der Geflügelhof des Amon in Karnak; ZÄS 73/1932 S. 124 - 131
Claude Traunecker: Les "temples hauts" de Basse Époque: un aspect du fonctionnement économique des temples, in: RdE 38/1987, S. 147-162
Richard H. Wilkinson: Die Welt der Tempel im alten Ägypten; Stuttgart 2005
 
Eingestellt durch: naunakhte

Bearbeitet am: 23.07.2008